
60 Jahre Wembley – Fredi Heiß: „Ein unvergessliches Erlebnis!“
Vor 60 Jahren, am 19. Mai 1965, fand das Finale im Europapokal der Pokalsieger im Londoner Wembley-Stadion statt. Zwar unterlag der TSV 1860 München in einer packenden Partie vor 90.000 Zuschauern West Ham United mit 0:2, doch noch heute ist das Spiel das größte in der Geschichte der Löwen.
Um dieses Ereignis entsprechend zu würdigen, hatte die Abteilung Vereinsgeschichte am Mittwoch, 14. Mai 2025, in die SechzgerAlm eingeladen. Von den noch vier lebenden Europacup-Helden waren mit Fredi Heiß, Hans Reich und Bernd Patzke drei gekommen, wobei Letzterer beim Finale wegen eines Bein- und Nasenbruchs zuvor in einem Länderspiel auf Zypern nur das Geschehen auf der Tribüne mitverfolgen konnte. Der Vierte im Bunde, Petar Radenkovic, hatte sich entschuldigt und den Organisatoren der Veranstaltung eine Grußbotschaft aus Belgrad zukommen lassen.
Es sollte ein kurzweiliger und informativer Abend werden – gerade auch für die Spätgeborenen. Nachdem die Sechzger-Musikanten eine Stunde lang aufgespielt hatten und mit dem Sechzger-Marsch zur offiziellen Eröffnung übergeleitet hatten, ergriff Präsident Robert Reisinger das Wort. „Wir blicken heute zurück auf einen der glanzvollsten Augenblicke in der Geschichte des TSV 1860 München.“ Er bedankte sich explizit bei Thomas Bohlender und Wolfgang Budack sowie „bei allen anderen im Verein, die sich den Abend ausgedacht und organisiert haben.“ Besonders begrüßte er die Ehrengäste und Zeitzeugen. „Viel von uns haben die Ungnade der späten Geburt und konnten nicht dabei sein. Deshalb sind wir froh, dass wir noch Zeitzeugen haben, die uns ausführlich berichten!“
Die Überleitung zu den beiden Moderierenden, Claudia Pichler und Thomas Bohlender, erfolgte mit Ausschnitten aus einer Original-Radio-Reportage von Herbert Zimmermann. Sie stimmten gemeinsam „Mit Leib und Seele“ an, dass aus mehreren hundert Kehlen gleichzeitig erscholl. Gesondert wurden anschließend die beiden noch lebenden ältesten Spielern der ersten Mannschaft, Martin Pflanzelt und Martin Müller, beide 93 Jahre jung, begrüßt, ebenso die drei aktuellen Profispieler Soichiro Kozuki, Dickson Abiama und René Vollath.
Danach wurden von Bohlender, teils auch mit Aufnahmen aus der Zeit, die Europapokalhelden Patzke, Reich, Heiß und Radenkovic vorgestellt. Es folgten Szenen des DFB-Pokalfinales 1964 im Stuttgarter Neckarstadion gegen Eintracht Frankfurt. Der 2:0-Sieg der Löwen hatte die Teilnahme am Europacup gesichert.
Anschließend wurde der Weg nach Wembley nachgezeichnet. In der Vorrunde besiegten die Sechzger US Luxembourg mit 4:0 und 6:0. Danach ging es in der 1. Runde zum FC Porto. Einem 1:0-Auswärtssieg folgte im Grünwalder Stadion ein 1:1. Im Viertelfinale hieß Legia Warschau der Gegner. In Polen gab es einen klaren 4:0-Erfolg, zu Hause ein lockeres 0:0. Mit dem AC Turin wartete im Halbfinale eine der stärksten Mannschaften dieser Zeit auf die Löwen. In Turin hatte das Team von Max Merkel wenig auszurichten, unterlag mit 0:2. Das Rückspiel auf Giesings Höhen zählt ebenso zu den Highlights der Vereinsgeschichte des TSV 1860 München. Vor 50.000 Zuschauern schafften die Sechzger das schier Unmögliche, führten sogar bis kurz vor Schluss mit 3:0, mussten dann aber einen späten Gegentreffer hinnehmen, der zu einem Entscheidungsspiel in Zürich führte.
Der damals 16-jährige Fan Manfred Graf erzählte als Zeitzeuge, dass er zwar gehofft hätte, dass seine Löwen die Italiener besiegen, „aber ned so“ daran geglaubt hätte, wie er freimütig zugab. Für Spieler Reich war es der Wahnsinn. „Ich habe sowas noch nie erlebt.“, beschrieb er die Atmosphäre im Grünwalder Stadion. Heiß, der das zwischenzeitliche 2:0 erzielt hatte, erzählte von einem psychologischen Trick, den Trainer Merkel angewandt habe. Schon beim Anstoß sollten alle Löwen-Angreifer auf den Ballführenden zu rennen. Das habe die Turiner verunsichert. „Die haben überhaupt nicht gewusst, was los ist. Uns hat er mit diesem Gag besonders geholfen, das hat zusätzlich motiviert.“ Das Entscheidungsspiel am 5. Mai 1965, bei dem Radenkovic eine Weltklasse-Leistung bot, wie Radiolegend Zimmermann in der Original-Reportage erklärte, ging mit 2:0 an die Löwen, die damit als zweiter deutscher Verein nach Eintracht Frankfurt 1960 in einem Europapokal-Finale standen.
Obwohl alle Anwesenden wussten, wie das Endspiel ausging, wurde mit Spannung das Endspiel herbeigesehnt. Aus dem BBC-Material – das komplette Spiel wird später im Vereinsheim „Bamboleo“ zu sehen sein“ – wurden anschließend die besten Szenen der 1. Halbzeit gezeigt. Immer wieder ging ein Aufschrei durch die Menge, wenn die Löwen zu einer Chance kamen oder wenn Radi einen Schuss parierte. Nach abwechslungsreichen 45 Minuten war nicht nur in Wembley Pause, sondern auch in der SechzgerAlm. Die Zeit bis zum „Wiederanpfiff“ der 2. Halbzeit überbrückten die Sechzger Musikanten.
Einer anschließenden kurzen „Halbzeitanalyse“ zwischen Moderatorin Pichler und Spieler Reich folgten Szenen des zweiten Durchgangs. Ein Doppelschlag von Alan Sealey (70. und 72.) beendete die Träume der Giesinger. Und auch in der Alm war die Enttäuschung über die Gegentore förmlich zu spüren. Auch 60 Jahre später war der Schmerz über den verpassten Europapokalsieg bei den Löwen-Fans groß. „Es war nicht unser Tag“, gab Heiß hernach offen zu. Die Voraussetzungen seien schlecht gewesen, das Fehlen von Patzke, er selbst sei mit einer Zerrung ins Spiel gegangen, hätte erst kurz vorm Spiel grünes Licht geben können. „Auch die Kulisse war beeindruckend. Wir haben gegen 80.000 Engländer gespielt.“ Auf „neutralem Platz“, wie es der 84-Jährige sagte, wären die Chance wesentlich höher gewesen. Auch der Rasen, auf dem die Sechzger zuvor nicht trainieren durften, sei zwar exzellent, aber ungewohnt gewesen.
Heiß erzählte weiterhin von dem Hype rund um die Partie, dass es beim Rückflug aus London keine Kontrolle gegeben hätte und die Fans direkt aufs Rollfeld zu ihren Maschinen gelaufen seien. Bei der Rückkehr sei die Mannschaft mit einer „freudigen Empfängnis“ empfangen worden. Der Heiß‘sche Versprecher sorgte für Gelächter, munterte die Anwesenden wieder auf. „Es war trotzdem ein unvergessliches Erlebnis. Wir haben unsere Fans dann ein Jahr später mit der Deutschen Meisterschaft belohnt!“
Anschließend bat Pichler die Profispieler auf die Bühne. „Mich hat die pure Emotion beeindruckt“, sagte Keeper Vollath stellvertretend für seine Kollegen noch unter dem Eindruck der Bilder aus Wembley. „Das Torwartspiel vom Radi war für die damalige Zeit irre“, beurteilte er seinen Vorgänger im 1860-Tor. „Obwohl ich wusste, wie es ausgeht, habe ich in der Halbzeit gedacht: Da ist schon mehr drin!“ Der „König von Giesing“, Karsten Wettberg, war als 23-jähriger Fan ebenfalls vor Ort dabei, erzählte von seinem Freund, der aufgrund seiner Körperfülle in der Sitzschale des Wembley-Stadions steckengeblieben war.
Es war nicht die einzige Anekdote dieses Abends. Auch Karin Wagner, seit 1960 Anhängerin der Weiß-Blauen, erzählte von ihren Eindrücken als einzige Frau unter vielen Männern in dieser Zeit. „Es war schlimm“, sagte die von Bohlender als „Miss Europacup“ vorgestellte 85-Jährige. „Ich musste erst mal klarmachen, dass ich nur Fußball schauen will!“ Im Anschluss überreichte sie Präsident Reisinger ihre „Glücksfahne“, die sie für das DFB-Pokalfinale in Stuttgart genäht hatte und die sie in den erfolgreichen Jahren der Sechzger ständig begleitete. Der zeigte sich über das Geschenk gerührt. „Das trifft mich bis ins Mark.“ Er dürfe die Fahne so lange behalten, ergänzte Bohlender, „bis wir ein Museum haben. Und sollten die Löwen in ferner Zukunft auf den heiligen Rasen des Wembley-Stadions zurückkehren, wird diese Fahne dabei sein.“, fügte er an.
In einem „großen Finale“ baten Pichler und Bohlender nochmals alle Spieler, Zeitzeugen und Mitwirkende auf die Bühne. Unter den Klängen des Sechzger-Marschs „57, 58, 59, Sechzig!“ ging ein unvergesslicher Abend zu Ende.